Der demografische Wandel ist allgegenwärtig und präsent in verschiedenen Medien, Wissenschaftsdisziplinen und politischen Diskussionen. Damit ist das höhere Lebensalter in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen als Thema angekommen.

Das alternde Individuum und seine Sprache in den Mittelpunkt einer Analyse zu stellen, haben jedoch bisher nur wenige Forscher*innen gewagt. In der Sprachwissenschaft wird Sprache im höheren Lebensalter meist als defizitär betrachtet – vor allem in der Gegenüberstellung zur Sprache Jüngerer. Dabei sollen bestimmte sprachliche Merkmale mit zunehmendem Alter vermehrt auftreten, zum Beispiel die als Disfluencies bezeichneten Unterbrechungen des Sprechflusses.

In Verbindung mit dem höheren Lebensalter wurden sie bisher vor allem in neurologischen und psychologischen Studien untersucht. Allerdings erschweren theoretische und methodische Differenzen den direkten Vergleich der Ergebnisse.

Durch die Möglichkeit, als Sprachwissenschaftlerin an der Auswertung der Heidelberger Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) teilhaben zu können, und durch den Zugriff auf die umfangreichen Sprachdaten der ILSE bilden die halbstandardisierten Interviews zweier Messzeitpunkte über die Zeitspanne von ca. 12 Jahren die Basis dieser Untersuchung.

Für die längsschnittliche Analyse werden fünf möglichst homogene Probanden ausgewählt: männlich, 1930-32 geboren, aus dem Leipziger Raum, neurologisch und psychiatrisch gesund. Pro Proband sind es zwei Interviews, die aus den Jahren 1993-94 und 2005-06 stammen und zwischen einer Stunde und sechs Stunden dauern. Durch die umfangreiche Befragung der Probanden zu ihrer Kindheit, Jugendzeit, ihrem zurückliegenden Arbeitsleben, Familien- und Freundeskreis stehen zudem soziodemografische Daten aus den Interviews und aus im Rahmen der ILSE erstellten Fragebögen zur Verfügung.

Nach einer quantitativen Analyse der hier untersuchten Disfluency-Arten erfolgt die Einzelanalyse der Probanden, die entscheidend für die Untersuchung der Disfluencies im höheren Lebensalter ist. Erst hier zeigen sich die individuellen Ausprägungen der sprachlichen Merkmale und ihre Entwicklung über einen längeren Zeitraum. Zudem wird ein Bezug zu außersprachlichen Faktoren, wie Schulabschluss sowie Ausbildung, zurückliegende berufliche Tätigkeit, Familie und Freunde, Wohnsituation, Freizeit, Hobbys und sogar Persönlichkeitswerten hergestellt.

Trotz der Homogenität der Stichprobe ist die interindividuelle Varianz beim Auftreten von Disfluencies beträchtlich, die Ergebnisse der einzelnen Disfluency-Arten variieren sowohl inter- als auch intraindividuell zum Teil erheblich.

Es hat sich unter diesen fünf Probanden gezeigt, dass von den außersprachlichen Faktoren die Faktoren Bildung, die aktuelle Lebenssituation und physische Veränderungen wesentlich zu Veränderungen in der Verwendung von Disfluencies im Laufe des höheren Lebensalters beitragen. Aufgrund der Einzelanalyse werden Thesen entwickelt, die in künftigen Untersuchungen zu Disfluencies im Alter anhand weiterer individuenzentrierter Untersuchungen getestet werden können.

Über die Autorin

Dr. Juliane Gall hat an der Universität Leipzig Germanistik und Hispanistik auf Lehramt studiert. Nach Abschluss ihrer Promotion hat sie ein Jahr in einer Berufsschulklasse Deutsch als Zweitsprache unterrichtet.

Seit Sommer 2019 arbeitet sie als Deutsch- und Spanischlehrerin an der Freien Schule Güstrow.