Der Zusammenhang von Vagheit und Sprache ist bereits vielfach behandelt worden, allerdings überwiegend aus philosophischer oder semantischer Perspektive. Demgegenüber verfolgen wir in dieser Arbeit einen gesprächsanalytischen Ansatz, um Phänomene sprachlicher Vagheit zu untersuchen. Wir fokussieren uns dabei speziell auf Vagheit in psychotherapeutischen Diagnosegesprächen.

Vagheit, wie sie in alltäglicher Kommunikation erfahren wird, lässt sich beschreiben als semantische Unterspezifizierung, die durch den Gebrauch unklarer Bezüge oder zu allgemeiner Ausdrücke entsteht. Unser Verständnis von Vagheit unterscheidet sich damit fundamental von der philosophischen und semantischen Kategorie „Vagheit“. Es handelt sich unserem Verständnis nach um eine interaktive Kategorie, die nur durch das Auftreten interaktiver Verwerfungen sichtbar wird.

Vages Sprechen kann den Patienten dazu dienen, sensible Themen zu vermeiden, aber mehr noch dazu, ein neues Thema zu setzen oder den thematischen Schwerpunkt des laufenden Gespräches zu verschieben. Therapeuten reagieren auf vages Sprechen, indem sie unmittelbar oder mittelbar auf die unterspezifizierte Äußerung eingehen oder indem sie die Patienten mit Hilfe von Spezifikationsangeboten unterstützen, insbesondere im Bereich sensibler Thematiken. Formal und/oder funktional ähnliche sprachliche Phänomene sind Teilresponsivität und Hochstufung durch Rückstufung.

Vages Sprechen hat auch Auswirkungen auf die Allianz zwischen Patienten und Therapeuten: Therapeuten können die Hinweise der Patienten nutzen, um das Diagnosegespräch im Hinblick auf die von den Patienten gesetzten Schwerpunkte zu organisieren.

Die Publikation wurde finanziell unterstützt vom
Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.

Über die Autoren

Evi Schedl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache in der Abteilung Pragmatik.

apl. Prof. Dr. med. Christoph Nikendei ist Leitender Oberarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik in Heidelberg und leitet dort die Sektion Psychotraumatologie. Er ist Oberarzt der Psychotraumatologischen Ambulanz.

Dr. phil. Dipl.-Psych. Johannes C. Ehrenthal ist Ambulanzleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg.

apl. Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsche Sprache in der Abteilung Pragmatik und außerplanmäßiger Professor der Universität Mannheim.